Neues vom JSPS-Club 03/2020

 

EDITORIAL

CORONA UND DIE FOLGEN II

von Prof. Dr. Heinrich Menkhaus, Vorsitzender und Landesbeauftragter Japan

Im letzten Editorial vor drei Monaten ist das Thema Corona aufgegriffen worden. Es ist immer noch in aller Munde, zumal es sowohl in Deutschland wie auch in Japan eine deutlich erkennbare zweite Welle von Infektionen gege- ben hat, nachdem Notmaßnahmen wie Ausgangssperren, Schul- und Betriebsschließungen oder das Verbot von Auslandsreisen, die zur Bekämpfung der ersten Welle eingeführt worden waren, aus wirtschaftlichen Gründen nach und nach aufgehoben wurden. Dennoch bleiben erhebliche Unterschiede im Verlauf der Pandemie zwischen Deutschland und Japan, die noch der Erklärung harren. Japan hat offiziell mit ca. 77.000 Ansteckungen und ca. 1.500 Sterbefällen angesichts der Größe seiner Bevölkerung eine erheblich geringere Belastung als Deutschland mit über 260.000 Ansteckungen und fast 10.000 Toten.

In der Zwischenzeit ist auch noch ein anderer Unterschied offenkundig geworden, der viel diskutiert wird. Es sind Beschränkungen des Reiseverkehrs. Anfangs sind die Grenzen in beiden Ländern für Ausländer praktisch komplett geschlossen worden, weil man mit den eigenen Problemen schon genug zu tun hatte und nicht noch zusätzlich die Probleme anderer Staaten, insbesondere solcher, die von der Pandemie stärker betroffen waren, importieren wollte. Dann hat man in Europa begonnen, die Grenzen wieder zu öffnen. Japan dagegen hat seine Grenzen geschlossen gehalten, sodass das Wort „Sakoku-Politik“ die Runde machte. Sakoku wird die Abschließungspolitik genannt, die von 1639 bis 1854 betrieben wurde und grundsätzlich bedeutete, dass Ausländer nicht ins Land gelassen wurden und Japaner, die ein Unglück außer Landes getragen hatte, nicht zurückkehren konnten.

Die anhaltenden Beschränkungen des Reiseverkehrs haben die Internationalisierung von Ausbildung, Studium, Forschung und Lehre, der auch Japan sich erklärtermaßen verschrieben hat, erheblich tangiert. So können immer noch keine ausländischen Schüler und Studierenden, auch wenn ihr Japanaufenthalt schon bewilligt ist, ihr Stipendium zur Verfügung steht und ihr Wohnheimplatz reserviert ist, ins Land einreisen. Das gilt grundsätzlich auch für Forscher, allerdings gibt es seit dem 1. September für Professoren die Möglichkeit, auf Basis der Einladung einer in Japan ansässigen Universität oder Forschungseinrichtung einzureisen, falls der Betreffende nachweislich virusfrei und bereit ist, sich bei der Einreise erneut auf Corona testen zu lassen. Sollte der Test negativ ausfallen, muss er sich trotzdem vierzehn Tage lang einer Quarantäne unterziehen. Selbst die in Japan tätigen ausländischen Wissenschaftler, die über eine Wiedereinreisegenehmigung verfügten, waren bis zum 1. September im Ausland gestrandet, wenn sie Japan nach einem bestimmten Stichtag des Jahres verlassen hatten. Auch sie müssen sich indes bei Wiedereinreise den genannten Bedingungen unterwerfen.

Es erhebt sich also die Frage, wie sich dieser Unterschied beim Reiseverkehr erklärt. Natürlich ist, wie schon gesagt, beim Import möglicher zusätzlicher Probleme Vorsicht geboten, insbesondere wenn die betroffenen Ausländer aus Staaten stammen oder sich in Staaten aufhalten, die ein erheblich höheres Infektionsrisiko aufweisen. Das gilt jedoch grundsätzlich auch für wiedereinreisewillige Japaner, die sich im Ausland aufgehalten haben. Aber es ist auch der Wissenschaftsverkehr, der mittlerweile recht international abläuft und ein entscheidender Antrieb für die nationalen Volkswirtschaften ist, den es im Auge zu behalten gilt. Da zudem die Anzahl der Betroffenen, im Vergleich etwa zu Touristen, sehr gering ist, wäre die Überwachung medizinisch-technisch zu bewältigen und würde von dem Verdacht entlasten, dass die auf Internationalisierung der Wissenschaft gerichtete offizielle Einstellung in Japan nur ein Lippenbekenntnis ist. Sollte sich diese Sichtweise im Ausland breitmachen, ist die Attraktivität des Studien- und Forschungsstandorts Japan gefährdet.

 

Kommentar zur Aufnahme ins Junge Kolleg

von Clubmitglied Dr. Bernd M. Schmidt

NRW-Wissenschaftsministerin Isabell Pfeiffer-Poensgen (l.), HHU-Rektorin Prof. Dr. Anja Steinbeck (2 v.l.) und Prof. Dr. Wolfgang Löwer, Präsident der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste (r.), gratulieren Dr. Bernd M. Schmidt zur Aufnahme ins Junge Kolleg am 14. Januar 2020.

Das Junge Kolleg der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste wurde 2006 gegründet und ist ein integraler Bestandteil der Akademie geworden. Es ermöglicht vielversprechenden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zusammenzukommen und sich auszutauschen. Wie der Name schon verrät, ist eine hervorhebenswerte Besonderheit, dass neben den Klassen für Naturwissenschaften und Medizin, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften sowie Geisteswissenschaften auch die Künste vertreten sind. Die Klassen sind die eigentlichen Träger der Arbeit der Akademie. Sie sind verantwortlich für das Vortragsprogramm der wissenschaftlichen Sitzungen, für die akademieeigenen Publikationsreihen und für fachliche Stellungnahmen und Veranstaltungen.

Aufgenommen werden können promovierte Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aller Fachdisziplinen, die (unter anderem) an wissenschaftlichen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen tätig sind, aber noch keine unbefristete Professur innehaben. Zurzeit besteht das Junge Kolleg aus 28 Mitgliedern. Die Kollegiatinnen und Kollegiaten treffen sich zweimal im Jahr zu Klausurtagungen in der Akademie in Düsseldorf. Hierbei tauschen sich die Mitglieder über aktuelle Vorhaben und Entwicklungen aus. Im Frühjahr wird der Forschungstag im Herbst geplant sowie Arbeitsgruppen für das laufende Jahr gegründet, die sich stets mit aktuellen Themen beschäftigen. Diese interdisziplinär zusammengesetzten, kolleginternen Arbeitsgruppen, zu denen sich die Kollegiatinnen und Kollegiaten entsprechend ihrer eigenen Interessen zusammenschließen, um gemeinsam gesellschafts- und wissenschaftspolitische Themen zu behandeln, bilden dabei den Kern des Kollegs. In 2020 beschäftigen sich die Arbeitsgruppen, an denen ich teilnehme, mit Hochschulpolitik und Wissenschaftskommunikation. Andere Arbeitsgruppen behandeln z.B. Themen wie Daten, Migration und Media Bias.

Des Weiteren finden mehrfach im Jahr Vorträge im Rahmen der Klassensitzungen statt, wo Mitglieder der Akademie und des Jungen Kollegs sich gemeinsam klassenintern austauschen können.

Ich hatte großes Glück, noch im Januar 2020 zusammen mit dem Neujahrskonzert in Anwesenheit sowohl der Akademie als auch des Jungen Kollegs aufgenommen zu werden und auch noch Anfang März an einer Klausurtagung in Düsseldorf teilnehmen zu können. Wenn auch Videotelefonie und E-Mails mittlerweile den Alltag durchdrungen haben, wäre eine gemeinsame Arbeit doch um Längen schwieriger gewesen, wenn man Kollegiatinnen und Kollegiaten vorher noch nie persönlich gesprochen und kennengelernt hätte. Bis auf Weiteres erarbeiten wir die Themen online, was gut gelingt, da die Arbeitsgruppen meistens nur aus etwa zehn Teilnehmenden bestehen.

Generell ist die bisherige Erfahrung im Jungen Kolleg für mich sehr erfreulich. Ich empfinde es nicht als lästige Pflicht oder Belastung, sondern denke, es ist ein Privileg, mit so vielen freundlichen, engagierten und motivierten Kollegiatinnen und Kollegiaten zusammenarbeiten zu dürfen und freue mich auf die weitere Arbeit in der Akademie. Hoffentlich auch irgendwann wieder in Form von Präsenzveranstaltungen.

 

COVID-19 Pandemic in Berlin: What happened roughly in Berlin with COVID-19 under consideration of international exchange

von Makoto Kashiwabara, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Koordinator der Zusammenarbeit mit der Universität Chiba

Brief summary of what happened in Berlin with COVID-19

I would like to briefly summarize what happened in Berlin due to the new type of coronavirus, SARS-CoV-2 (COVID-19), from the point of view of working in the Charité International Cooperation Department of the Charité – Universitätsmedizin Berlin.

As you know, COVID-19 attracted a lot of attention due to the Diamond Princess (ship) in Yokohama in early February. Around this time, the first domestic case of infection was also confirmed in Germany, and Lufthansa announced the suspension of all flights to and from China with the exception of Hong Kong. In late February and into March, the number of cases rose rapidly in some parts of Germany and the government launched an active public warning. The Federal Minister of Health, Mr. Spahn, was even more busy than usual (although always busy).

Development of the daily newly reported number of cases of the coronavirus in Germany since January 2020 (as of August 21, 2020). Source: WHO, Johns Hopkins University

Where I work, the Charité is very close to the Reichstag and the press building. I even saw Minister Spahn go to the Reichstag (he might have been coming from the press building or the Charité). Prof. Drosten, the co-discoverer of the severe acute respiratory syndrome (SARS) in 2003 and "first developer" of the COVID-19 test at the Charité, started a daily podcast about COVID-19 at the end of February. Some of you may have heard that he pointed out that Europe should learn in the near future through Japan's measures against COVID-19. His daily podcasts were so clear and well received by the public that the professor was honored with a special prize for outstanding public relations in July by the German Research Foundation (DFG) and the Federal Association of German Research Communities. Around the end of February, it had become a little more difficult to buy toilet paper and obtain masks and hygiene products.

Charité Mask

At that time, the social situation, but within the Charité as well, changed extremely quickly. On March 13th, the “Charité International Cooperation” informed our partner universities abroad that we would not accept any international students until September. Face-to-face teaching in schools (elementary school, high school, etc.) was discontinued from March 17th. On March 20th, it was announced that the start of the summer semester at universities would be delayed and that teaching would no longer be offered in the classroom. On March 23rd, "further restrictions on social contacts" came into force, including the closure of all shops (except for essential supplies) and restaurants as well as contact restrictions throughout Germany. Many people found it difficult to go to work because their children were at home, so many office workers started working remotely from home, and with the closure of shops and restaurants, people disappeared from the streets. A corona emergency station with around 500 beds was set up at Messe Berlin. A COVID-19 emergency system was also set up at the Charité. Other than those working with patients and on coronavirus SARS-CoV-2 research, staff was mostly working from home. Mask support also arrived quickly from China. Original Charité masks were distributed to all employees at the Charité.

It was a hectic time for our international cooperation as we grappled with cancelling the arrival of international students and researchers, who were supposed to come from different countries for the summer semester and communicating with the Charité students and researchers studying abroad. As we went into April, our future response also clearly became more social, and society as a whole began to adjust to the social impact of COVID-19, so it no longer felt like an emergency response to our work.

While the old-style international exchanges no longer worked, online communication began to take off. New forms of international communication, such as Zoom meetings and webinars, were born. But people don't move. This is an international exchange where people don’t move.


What is international cooperation?

What is international cooperation? I would like to consider this during the COVID-19 pandemic and earlier. When I look back on my work, the main theme of international cooperation is the mobility of people. I think it was about creating a stage where new things and ideas can be born through mobility. However, I now regret that I have not included any further considerations. I thought it was only natural to cross the sea for international cooperation. There are different cultures, different standards and people who see the same thing but think differently. This could be a fundamental principle that applies to all international symposia, workshops and any type of experience, whether for students or researchers studying abroad. I took these things for granted. COVID-19 kept people away from spatial mobility. Online contacts and communication are now standard practice, webinars are also held, and information and knowledge are shared regardless of the location of the participants.

But I would argue that with the progress of online interactions, the differences between them and human-centered international interactions also have been revealed. Online interactions can be described as a mono task. There is nothing but a screen. It's a simple expression as well, but communication in computer networks using 0 and 1 is still lacking in many aspects. The exchange of information through an actual encounter with people is a 360° perspective, in which the entire environment in which one exists becomes a source of information. The screen is 2D. Reality is 3D where the perceiving world is stretched out in three directions. It is full of additional (seemingly) unnecessary information! And the dimension of time is also added. Then there is the "atmosphere" and the "smell" or "touch" which cannot be expressed. Expanding this world that is not yet known is the essence of international cooperation and I believe that it is an update of information and experiences that cannot be obtained by just visiting the website.


For the Future

I think online exchange is a great way to exchange information. It has made it much easier to exchange information with other countries and has truly opened up the possibilities of that exchange to global participants. In other words, the difference and distance between the classroom next door and the one across the ocean is no longer a barrier to information exchange.

However, I believe that the inspiration to create something new and an encounter with a path that leads to an expansion of one's inner self is something that cannot be achieved without human interaction. We do not know whether COVID-19 will disappear or we will have to learn to live with it, or whether more new infectious diseases and social problems will arise, but with the transformation of communication brought about by COVID-19, the future will be a two-stage international cooperation.

We will: 1. exchange information and interact online (2D) to become ready to take up new experience, and 2. gather real experience (3D). These two communication styles will become a new communication style (5D), a new form of international cooperation. I am convinced that it will be even more important than it was before COVID-19.

After restrictions on social activities are relaxed, feel free to visit Berlin in order to broaden your 2D knowledge with further real-life experience. We are looking forward to seeing you.

 

Viel mehr als nur ein Stipendium

von Clubmitglied Dr. Jörg Wennmann

Mein durch JSPS geförderter Aufenthalt in Japan hat seine Anfänge im Jahr 2012, als ich als Doktorand die einmalige Möglichkeit hatte, an der 45. jährlichen Tagung der Society for Invertebrate Pathology (SIP) in Buenos Aires teilzunehmen. Zu dieser Zeit forschte ich am Institut für Biologischen Pflanzenschutz des Julius Kühn-Instituts (JKI, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen) an den Baculoviren. Diese Virenfamilie ist für den Menschen von großem wissenschaftlichem Interesse und wirtschaftlichem Nutzen, zum Beispiel im biologischen Pflanzenschutz. Als Beispiel ist hier das Apfelwickler-Granulovirus zu nennen, welches in Deutschland und weltweit zur biologischen Kontrolle von Larven des Apfelwicklers, dem „Wurm im Apfel“, zum Einsatz kommt.

Ich war damals im zweiten Jahr meines Projektes und stellte erste Forschungsergebnisse vor, als mich Prof. Madoka Nakai der Tokyo University of Agriculture and Technology (TUAT) während der Tagung ansprach, ob ich nicht Interesse hätte, bei ihr in der Arbeitsgruppe als Postdoc zu arbeiten. Ich war noch zu weit vom Abschluss meiner Dissertation entfernt, um konkrete Pläne zu schmieden, aber bekundete dennoch mein großes Interesse.

Frau Prof. Madoka Nakai (vordere Reihe, 2. v. l.) und ihre StudentInnen. JSPS-Stipendiat Jörg Wennmann in zweiter Reihe (2.v.r.). Das Foto wurde während der Kirschblüte im März 2015 aufgenommen, als sich alle Labormitglieder zu einem Picknick trafen

Durch diverse fachliche Überschneidungen ergab sich dann in den folgenden Monaten ein recht reger Austausch, der dazu führte, dass mehrere japanische StudentInnen aus Prof. Nakais Labor uns am Julius Kühn-Institut zu Forschungszwecken besuchten. Dies war für mich der allererste Kontakt mit der japanischen Kultur. 2014 zeichnete sich das Ende meiner Promotion ab, sodass Frau Prof. Nakai und ich unsere 2012 angedachte Idee in die Tat umsetzten und ich mich bei JSPS für ein Long-Term-Stipendium bewarb. Im zweiten Anlauf sollte es dann klappen und im März 2015, kurz nach meiner Disputation, flog ich ohne eine Vorstellung von Japan zu haben nach Tokyo, um mich im Gästehaus des Campus der TUAT in Fuchu niederzulassen. In meinem Projekt befasste ich mich abermals mit Baculoviren, aber diesmal mit der Struktur ihrer stark vergrößerten Virushülle, die sie so resistent gegen äußere Umwelteinflüsse macht. Die Form der Hülle ist meist so groß, dass man das Viruspartikel bereits im Lichtmikroskop erkennen kann, und weist zudem eine stark symmetrische und polyedrische Form auf. Eine in Japan vorkommende Mutante besitzt hingegen eine kubische Form von geradezu gigantischem Ausmaß. Meine Aufgabe war es, den genetischen Grund für diese Mutation zu finden und experimentell nachzuweisen.

Die zehn Monate meines Aufenthalts waren eine Erfahrung, die ich niemals vermissen möchte. Die Größe Tokyos, der Kulturunterschied zu Japan und besonders das gute, gesunde und vielfältige Essen haben bis heute einen prägenden Eindruck hinterlassen. Wann immer ich Zeit hatte, versuchte ich zu Reisen, was mir und meiner japanischen Reisebegleitung und jetzigen Ehefrau sehr gut gelang. So sahen wir die südlichste Felsspitze Japans auf Hateruma und reisten an den Wochenenden bis zur Präfektur Iwate quer durchs Land. Ein Ort, der mich noch heute bei meinen Besuchen der japanischen Familie in Tokyo anzieht, ist der Tokyo Tower im Herzen der Stadt. Es war damals das erste Wahrzeichen der Stadt an meinem ersten freien Tag in Japan während meines Forschungsaufenthalts.

Heute leite ich meine eigene Forschungsgruppe am Julius Kühn-Institut im Bereich des biologischen Pflanzenschutzes und stehe mit ForscherInnen aus der ganzen Welt in Kontakt. Auch mit Japan habe ich weiterhin guten Kontakt und möchte noch einmal einen Antrag bei JSPS stellen. Letztendlich führten die entstandenen Verknüpfungen, Besuche durch KollegInnen und fachlichen Austausche dazu, dass andere DoktorandInnen meinem Vorbild folgten und in Japan/Tokyo forschen wollten, was teilweise gelang. Heute pflegt unser Institut Kontakt zur japanischen National Agriculture and Food Research Organization und auch privat wurden KollegInnen inspiriert, Japan zu besuchen. Und vieles hat damals damit angefangen, dass Frau Prof. Nakai mich in ihre Forschungsgruppe einlud und auf die Förderungsmöglichkeiten von JSPS hinwies.

 

RÜCKBLICK AUF EIN LEBEN ALS WISSENSCHAFTLER

JAPAN durch ZUFALL? (Teil 2)

von Clubmitglied Prof. Dr. Matthias Rögner

Erster Japanaufenthalt 1979 – Basis für 40 Jahre Forschung

Die Arbeitsgruppe von Prof. Y. Kagawa (Jichi Medical School, zweiter von links, vordere Reihe) 1979 mit Gastforscher M. Rögner (rechts daneben).

Allein schon der Japanflug mit Lufthansa über Anchorage war damals ein Erlebnis: Sehr teuer, sehr nobel (Stewardess im Kimono!) und exquisiter Service (trotz Economy!). Die Jichi Medical School – ca. zwei Stunden nördlich von Tokyo mitten in Reisfeldern gelegen, daneben nur ein kleines Dorf – war eine sehr neue Medizinuniversität, die im Ausland kaum jemand kannte.

Innerhalb Japans war sie aufgrund eines neuen Modells bekannt: Jede Provinz konnte zwei Studenten benennen, die dort Medizin studieren durften, ohne die schon damals sehr hohen Studiengebühren zu bezahlen. Dafür mussten sie sich verpflichten, nach Studienabschluss mindestens zwei Jahre lang Arzt in einem „remote place“ zu sein, also z.B. auf einer entlegenen Insel. Außerdem mussten damals alle angehenden Ärzte Deutsch lernen, und ich als erster Deutscher dort (wahrscheinlich als erster Ausländer überhaupt) wurde auf freundliche Weise quasi „zwangsverpflichtet“, im Unterricht regelmäßig als Native Speaker zu helfen. Dadurch wurde ich natürlich schnell bekannt.

Auch im normalen Klinikbetrieb war ich die Sensation: Ich hatte – analog zu japanischen Ärzten – einen weißen Kittel und ein japanisches Namensschild, sodass alle Bauern, die zur Behandlung in die Klinik kamen und auf den Gängen in langen Reihen saßen, wohl dachten, ich wäre ein berühmter ausländischer Arzt, wenn auch ein sehr junger. Ihre neugierigen Blicke verfolgten mich erst, wenn ich vorbeigegangen war (sah ich beim plötzlichen Umdrehen!). Die Arbeit in einem japanischen Labor war – im Vergleich zu Berlin – sehr gewöhnungsbedürftig: Abends ging niemand nach Hause, wenn der „Boss“ noch da war (das konnte auch 21 oder 22 Uhr sein!), samstags früh war Seminar (auf Japanisch, ich sollte aber trotzdem daran teilnehmen), und selbstverständlich wurde der gan-ze Samstag durchgearbeitet (ich erhielt manchmal Sondererlaubnis, schon am Nachmittag Richtung Tokyo ins Wochenende zu starten). Das DAAD-Stipendium erlaubte mir, über das (kurze) Wochenende schöne Teile von Japan zu sehen, da ich mir auch den Shinkansen leisten und damit viel Zeit sparen konnte.

Jichi Medical School in Minamikawachi/Shimotsuke (Tochigi) mit Hauptgebäude, Schwesternwohnheim (rechts) und Unterkünften für Studenten und Professoren (hinten rechts)

Ansonsten versuchte ich, mich wie ein Japaner zu verhalten, wobei mir meine japanischen Sprachkenntnisse auch fachlich ungeahnte Vorteile verschafften: Japanische technische Assistentinnen sprechen normalerweise kaum Englisch, wissen aber alle methodischen Details, die in Veröffentlichungen oft fehlen (und damit eine Reproduktion der publizierten Ergebnisse erheblich erschweren) – also sollte man sie direkt (auf Japanisch!) erfragen. Auf diese Weise erhielt ich viele Tipps zur praktischen Durchführung, die mir später erheblich zur Reproduktion der Methoden in Berlin geholfen haben. Auch zur „sozialen Integration“ trug mein Japanisch – trotz starkem Verbesserungsbedarf – bei: Direkt neben unseren Laborräumen befand sich der Pausenraum der Gewerkschaft der japanischen Krankenschwestern, und das war ein sehr interessanter Ort für mich: Wo sonst konnte ich meine Japanischkenntnisse „nutzbringend“ anwenden und gleichzeitig von mehreren Krankenschwestern mit Tee und Reisgebäck verwöhnt werden? Ich hatte immer mein kleines Notizbuch dabei, um neue Redewendungen und Ausdrücke zu notieren, und auf diese Weise verbesserten sich meine Sprachkenntnisse sprunghaft.

Komischerweise mussten alle japanischen Gesprächspartner lachen, wenn sie mich japanisch reden hörten: Erst später erfuhr ich, dass ich mir auf diese Weise die japanische Frauensprache angewöhnt hatte, die sich teilweise drastisch von der männlichen unterscheidet (in Worten und Gesten), und daher für unfreiwillige Komik sorgt (das klingt wohl bis heute nach ...). Auch unterkunftsmäßig hatte ich großes Glück, wie ich bei einem Treffen aller DAAD-Stipendiaten im Office in Tokyo bemerkte: Praktisch alle Stipendiaten – die meisten aus Tokyo und Umgebung – klagten über den extrem heißen Sommer, die fehlende Klimaanlage und die stickigen kleinen Tatamizimmer, während ich von einem Apartment über zwei Etagen, Klimaanlage, eigenem Bad, mehreren Tatamizimmern und eigener kleiner Küche berichten konnte: Das war echter Luxus! Aber dafür gab es außerhalb der Medical School praktisch nichts – was natürlich gut für die Arbeit war!

Elektrische Zelle zur Erzeugung von ATP aus ADP und Pi mittels externer elektrischer Feldpulse im Dunkeln. Die thermostabile ATPase (rot) ist ein Lipidvesikel (weiß) integriert, um eine Zelle zu simulieren.

Wissenschaftlich war mein Aufenthalt – obwohl mit sechs Monaten äußerst knapp bemessen – unerwartet erfolgreich, da ich mit Kagawa-sensei sogar meine erste Veröffentlichung einreichen konnte: Durch Kombination der von mir nach Japan exportierten externen elektrischen Feldmethode mit dem extrem stabilen Enzym aus Kagawas Labor konnten wir erstmals zeigen, dass allein die isolierte ATPase in einem Lipidvesikel mit einem externen elektrischen Feld aus ADP und Phosphat ATP erzeugen konnte, die „Energiewährung“ aller lebenden Zellen! Das war von sehr grundlegender Bedeutung und ein wichtiger Teil meiner Dissertation, genauso wie das in Japan präparierte Proteinmaterial, das ich für spätere Experimente nach Berlin schickte und das damals nirgendwo sonst auf der Welt erhältlich war.

Außerdem gestattete mir Katoh-sensei an der Todai, wo ich in den letzten zwei Wochen photosynthetische Methoden lernte, das zunehmend Aufsehen erregende thermophile Cyanobakterium mit nach Berlin zu nehmen. Dieses bildete die Grundlage für meine gesamte spätere Photosyntheseforschung – immerhin für weitere 35 Jahre! Darüber hinaus lernte ich in diesen beiden führenden Arbeitsgruppen einige der für mein Fachgebiet wichtigsten Vertreter der zukünftigen japanischen Forschung kennen, mit denen ich teilweise noch heute zusammenarbeite.

Da ich in diesen sechs Monaten wissenschaftlich alles erreicht hatte, was geplant war, und zusätzlich noch viel mehr (ich lernte meine spätere Frau Yoshiko in Tokyo kennen), kann man ohne Übertreibung sagen, dass diese sechs Monate die intensivsten meines bisherigen Lebens waren. Zusätzlich war ich für immer mit dem „Japanvirus“ infiziert.


Japan-basierte Forschung in Berlin (1979-87)

Nach meiner Promotion bei H.T. Witt im Jahr 1984 blieb ich noch gut drei Jahre als Postdoc bei ihm und konnte nun auch von dem thermophilen Cyanobakterium profitieren, das ich aus Japan mitgebracht hatte. Mein Kollege und Freund Günther Schatz hatte in der Zwischenzeit schon erfolgreich die Anzucht und biochemische Aufarbeitung dieses Organismus in Berlin etabliert, wobei ihm der erste japanische Postdoc an unserem Institut – von mir erfolgreich in Japan „angeworben“ – half.

Da damals niemand außerhalb Japans dieses Bakterium besaß und ich die Interna der Anzucht und der Präparation kannte, hatten wir in Berlin einen enormen Erfahrungsvorsprung. Die Vorteile gegenüber den bisher verwendeten, labilen Präparationen aus Spinat zur Photosyntheseforschung waren so eklatant, dass bald fast das ganze Witt-Labor zum Cyanobakteriensystem überging.

Hinzu kam, dass wir rasch sehr erfolgreich in der Entwicklung von neuen Proteinisolierungsmethoden waren, die es erstmals erlaubten, isolierte Photosyntheseproteine sowohl strukturell als auch funktionell zu charakterisieren: So konnten wir in Zusammenarbeit mit Egbert Boekema (Groningen) erstmals durch elektronenmikroskopische Einzelpartikelanalyse zeigen, dass Photosystem 2 (welches für die lichtgetriebene Wasserspaltung verantwortlich ist) als dimerer Komplex vorliegt, während Photosystem 1 (verantwortlich für die lichtgetriebene Elektronenverteilung) meist ein Trimer ist, was funktionelle Konsequenzen für die Kooperation von diesen Komplexen hat.

Auch konnten die nun getrennt vorliegenden, hochgereinigten Photosysteme mit hoher Zeitauflösung spektroskopisch charakterisiert werden, was wichtige Rückschlüsse auf ihre Funktion zuließ: Die sogenannten „Lichtreaktionen“ direkt nach Lichtanregung verlaufen in ungeheurer Geschwindigkeit und können nur dann eindeutig charakterisiert werden, wenn die Präparationen des jeweiligen Photosystems in absoluter Reinheit und hoher Stabilität vorliegen. Es handelt sich hierbei um Kinetiken, die wir in Berlin bis in den Nanosekundenbereich (10-9 s), später durch meine Zusammenarbeit mit dem MPI Mülheim bis in den Pikosekundenbereich (10-12 s), auflösen konnten. Hieraus ließen sich wertvolle Informationen über den Funktionsablauf und die Effizienz der Photosysteme ableiten. Die extrem hohe Reinheit und Homogenität der isolierten Photosysteme erlaubte auch erstmals ihre Kristallisation und damit mittelfristig die Auflösung ihrer dreidimensionalen Struktur bis in den atomaren Bereich, was wiederum für ein Verständnis ihrer Funktion (und möglicherweise für ihren späteren „Nachbau“) unabdingbar war.

Voraussetzung hierfür war allerdings die Bereitstellung sehr großer Materialmengen an diesen Photosystemen, und hierfür musste ich (in Zusammenarbeit mit der Fa. Schott) Photobioreaktoren entwickeln und erproben, die damals nicht verfügbar waren. Letztlich konnten wir damit pro Woche bis zu 120 L Algen anziehen und damit die Voraussetzung für die Kristallisationsexperimente schaffen. Erste Ergebnisse dieser Kristallstruktur konnte ich noch mit H.T. Witt veröffentlichen, der damit später die bisher beste Photosystem-1-Kristallstruktur erzielte.

Exzellente Strukturdaten wurden später auch von anderen Labors – insbesondere für Photosystem 2 und die Aufklärung der Wasserspaltung – mit diesem thermophilen Cyanobakteriensystem berichtet. Zusammenfassend kann man sagen, dass die „Entdeckung“ dieses thermophilen Cyanobakterienstamms in Japan genau das richtige System zur richtigen Zeit war, um die Photosyntheseforschung nachhaltig voranzubringen – obwohl wir damit, ehrlich gesagt, den japanischen Arbeitsgruppen in einigen Ergebnissen zuvorgekommen sind. Andererseits wurden aber auch viele Ergebnisse in Zusammenarbeit mit den Japanern erzielt und gemeinsam veröffentlicht. Selbst die Konkurrenz war freundlich und ehrlich.

(Fortsetzung im nächsten NvC)

 

PUBLIKATIONEN VON CLUB-MITGLIEDERN

Heinrich Menkhaus
Verein der Förderer der deutschsprachigen katholischen Kirchengemeinde St. Michael Tokyo (1969–2019)
2020, 67 Seiten
ISBN 9783862056705

Das Buch befasst sich mit der Geschichte eines Finanziers der deutschsprachigen katholischen Kirchengemeinde St. Michael, Tokyo, des Förderervereins. Bevor indes auf dieses Thema eingegangen wird, wird zunächst die Geschichte der römisch-katholischen Kirche in Japan, die Historie der deutschsprachigen Katholiken in Japan und die Geschichte der Kirchengemeinde selbst beleuchtet. Das geschieht alles aus juristischem Blickwinkel, der es erlaubt, die Schwierigkeiten darzustellen, mit denen sich die weltweit operierende römisch-katholische Kirche konfrontiert sieht, wenn sie auf das nationale Rechtssystem ihres Tätigkeitsstaates trifft. Neben Fragen von kirchenrechtlicher Natur werden vor allem solche behandelt, die sich mit den für Religionsgemeinschaften in Japan zur Verfügung stehenden Rechtsträgern befassen.

 

Repräsentation des Clubs auf externen Veranstaltungen

  • 16.05.2020: Zukunftswerkstatt unseres institutionellen Mitglieds OAG | Heinrich Menkhaus

  • 16.05.2020: Teilnahme an der Mitgliederversammlung des Verband Deutsch-Japanischer Gesellschaften e.V. | Sabine Ganter-Richter

  • 15.06.2020: Teilnahme an der Mitgliederversammlung des Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis e.V. | Sabine Ganter-Richter

  • 20.06.2020: Zukunftswerkstatt unseres institutionellen Mitglieds OAG | Heinrich Menkhaus

  • 23.06.2020: Zoom-Konferenz der europäischen Wissenschaftlervereinigungen in Japan | Heinrich Menkhaus

  • 27.07.2020: Zoom-Konferenz der europäischen Wissenschaftlervereinigungen in Japan | Heinrich Menkhaus


 

Neue Clubmitglieder

  • Shiori Mochimaru
    Kyorin Europe GmbH

  • Maximilan Anton Hirschberger
    University of Tokyo
    RIKEN Center for Emergent Matter Science 2018-19*

* von JSPS/STA geförderter Forschungsaufenthalt in Japan

 

Termine

  • 20.11.2020: 9. Mitgliedertreffen in Tokyo
    ACHTUNG: Derzeit planen wir das Symposium als Präsenzveranstaltung. Sollte dies aufgrund der COVID-19-Epidemie nicht möglich sein, wird die Veranstaltung online durchgeführt. Darüber informieren wir Sie spätestens im Oktober.

  • 07./08.05.2021: neuer Termin für verschobenes japanisch-deutsches Symposium „Bioeconomics“ in Berlin

  • 08.05.2021: Jahresmitgliederversammlung des JSPS-Clubs im Rahmen des Symposiums in Berlin

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Impressum

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Redaktion: Sabine Ganter-Richter, Caroline Hoffmann
Verantwortlich:
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