Neues vom JSPS-Club 01/2003


Dr. Botho von Kopp ist Gründungsmitglied des Vereins. 1982–84, 1991 und 1996 hielt er sich zu längeren sowie 1997 und 1999 zu kürzeren Forschungsaufenthalten in Japan auf. Das von ihm hier vorgestellte Online-Journal zur internationalen Bildungsforschung ist zu finden unter der URL-Adresse www.dipf.de/publikationen/tibi/tibi.htm.


Botho von Kopp

Neu im DIPF: "TiBi – Trends in Bildung international"

"Trends in Bildung international" – TiBi ist ein neues Produkt des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Die in unregelmäßigen Abständen erscheinende Online-Publikation enthält Beiträge aus kontinuierlicher im DIPF und im DIPF-Netzwerk geleisteter Dauerbeobachtung der aktuellen internationalen Bildungsentwicklung und ihrer Diskussionen. Der geographische Schwerpunkt von TiBi liegt bei einer Kerngruppe von Ländern, die nach den Kriterien ihrer geographisch-politischen sowie ihrer interaktiven Nähe zum deutschen Bildungssystem (Stichwort: Europa, OECD) bestimmt ist. Gegebenenfalls wird sich der Blick aber auch auf weitere Länder richten, etwa solche, die durch eine besondere Innovationsaktivität auffallen.

Die erste Ausgabe von TiBi war im Dezember 2001 ins Netz gestellt worden. Sie reagierte auf die am 4.12.2001 von der OECD in Paris offiziell vorgestellte Präsentation der Ergebnisse der PISA-Studie, die in Deutschland aus allseits bekannten Gründen ein beträchtliches Aufsehen erregt hat. Dabei wollten wir den vielen ersten Interpretationsversuchen jedoch nicht weitere hinzufügen, sondern die wichtigsten Systemcharakteristika dreier Länder mit Spitzenergebnissen in PISA – Finnland, Südkorea und Kanada – vorstellen, die hierzulande eher wenig bekannt sind. Es folgten weitere Ausgaben von TiBi mit Beiträgen über Globalisierung, Deregulierung und Privatisierungsstrategien (Nr. 2), ein Überblick über Trends in Bildung und Schulentwicklung unter dem Titel: Deutschland und Europa (Nr. 3). TiBi Nr. 4 stellt ein anspruchsvolles bildungsökonomisches Modell vor, das am Beispiel Deutschlands die Quantifizierung des vorhandenen Bildungsvermögens eines Landes thematisiert und das auch für den internationalen Vergleich von großem Interesse sein kann; TiBi Nr. 5 (Herbst/Winter 2002) greift noch einmal die PISA-Studie auf und bietet einen Überblick über jeweilige erste Reaktionen im Spiegel der Presse verschiedener europäischer und außereuropäischer Länder.

Anfang 2003, ist eine neue Rubrik hinzugekommen, in der unter der Bezeichnung "Im Blickpunkt" überwiegend informative Beiträge erscheinen sollen, die in unterschiedlicher Form aber möglichst aktuell über jüngste Tendenzen in einzelnen Ländern informieren.

Die Rubrik wurde eröffnet mit einer überarbeiteten Version der Pressemeldungen zu Bildung und Wissenschaft in Japan, die aus Auswertungen englischsprachiger japanischer Zeitungen von der Japan Society for Promotion of Science (JSPS) zusammengestellt und als Rundschreiben verschickt werden und auch im Internet zu finden sind (www.jsps-bonn.de, Rubrik „Rundschreiben“).

Eine Auswahl aus diesen Rundschreiben der letzten Jahre wurde von mir in diesem ersten Beitrag der neuen Rubrik zu vier Themengruppen (Schule Universität, Wissenschaft, übergreifende Reformen) und jeweiligen Unterpunkten (z.B. Zulassung, Studierende, Absolventen, Internationalisierung) zusammengefasst, so dass spezifische Informationswünsche schnell und gezielt zugänglich sind. Diese Aufbereitung der "Rundschreiben" soll in größeren Abständen fortgesetzt werden (etwa einmal jährlich) und sie soll (auf sehr bescheidene Weise) mit dazu beitragen, innerhalb der deutschen Bildungsdiskussion Japan wieder etwas stärker in das Bewusstsein des Teils der Bildungsöffentlichkeit zu lenken, der am internationalen Geschehen Interesse hat. Denn bedauerlicherweise ist, wenn ich dies richtig sehe, in der deutschen Bildungspolitik und Pädagogik, aber auch in der vergleichenden Bildungsforschung, das Interesse an Japan in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Zum einen hat sich hinsichtlich Japan inzwischen das Image eines "Krisenlandes" (von dem man kaum "etwas lernen" kann) verfestigt. Darüber hinaus ist speziell das Bildungssystem Japans seit Jahren nicht nur kritisch – was legitim und notwendig ist – sondern zum Teil einseitig negativ behandelt worden. Aber auch andere Faktoren wie die deutsche Wiedervereinigung, der europäische Einigungsprozess und nicht zuletzt der "PISA-Schock" haben zu thematischen und geographischen Verschiebungen von Prioritäten geführt, die, pauschal gesagt, als Stärkung einer "Nabelschau-Mentalität" beschrieben werden können, die die Welt vor allem unter dem Gesichtspunkt entweder der Bestätigung der Eigensicht oder als deren potentielle Bedrohung wahrnimmt.

Interessant, und von der Bildungsforschung etwas vernachlässigt, finde ich am deutsch-japanischen Vergleich gegenwärtig insbesondere, dass beide Länder heute, nach jahrelangem "Reformstau" unter einem besonders starken Reformdruck stehen und einheitlichen globalen Tendenzen neuer Steuerungsmodelle (und deren Begründung und Legitimierung) ausgesetzt sind. Dabei ist die soziokulturelle Ausgangslage für beide Länder in manchem ähnlich. Die Philosophie der neuen Steuerung, die auf das Zurückdrängen staatsbürokratischer Steuerung von Bildung zielt, hat in beiden auf die Autorität des Staates fixierten Ländern kaum Tradition. Zudem hat der globale Paradigmenwechsel sowohl die Ziele als auch die Mittel von Bildungsplanung, Bildungspolitik und Bildungsforschung gewandelt und Schwerpunkte haben sich radikal verschoben: von Themen der direkten einzelstaatlichen Steuerbarkeit gesellschafts- und entwicklungspolitischer Dimensionen (Demokratisierung durch Expansion der traditionellen Bildungswege, Steigerung von individuellem und gesamtvolkswirtschaftlichem Ertrag durch Investitionen in Bildung) – hin zur Globalisierung bildungspolitischer Strategien, zu indirekter betriebswirtschaftlicher statt volkswirtschaftlicher Steuerungsphilosophie, zum Subsidiaritätsprinzip sowie der Pluralisierung und Differenzierung (Individualisierung) von Bildungsangeboten und Bildungsanbietern. In mancherlei Hinsicht scheinen diese Herausforderungen als Überforderungen gesehen zu werden und in beiden Ländern zeigen sich neben Innovationsbereitschaft auch Momente von reaktivem bis reaktionärem Rückzug auf alte Muster: in Japan z. B. konzertierte Bemühungen zur Wiederbelebung zentraler Elemente des Vorkriegs- Bildungssystems, in Deutschland, im Kontext einer mehr generellen, aber ebenfalls unseligen "Sonderweg"-Argumentation" hektischer und unkoordinierter Bildungsreform-Aktionismus, der letztlich auf die mögliche Bewahrung des Bestehenden zielt.

Nicht zuletzt scheint mir interessant zu verfolgen, wie beide Länder angesichts ihrer (trotz aller Reformrhetorik) hohen Reformresistenz auf unvermeidliche strukturelle Veränderungen und Angleichungen an globale Trends (z.B. "Stiftungsuniversität", "dokuritsu gyôsei hôjin") reagieren und mit welchen Funktionen und Inhalten sie die neuen Formen letztlich ausfüllen werden.


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