Nachlese von Anton Rieker
Nicht nur Shinkansen und Sushi, Geishas und Sumo, Tempel und Schreine, Nō und Kabuki waren neue Eindrücke bei meinem ersten, JSPS-geförderten Aufenthalt in Japan 1973. Auch der Besuch des Bunraku-Puppentheaters in Ōsaka beeindruckte durch die für uns ungewohnte Art, wie die Spieler als „schwarze Schatten“ den Puppen fast reales Leben verliehen. Puppenspiel, Drama, Rezitation und Musik (shamisen-Laute) verbanden sich dabei zu einer Gestaltungseinheit. Dreißig Jahre später, am 7.10.2004, dem Vorabend des Club-Treffens „Mitglieder laden Mitglieder ein“ hatten nun einige JSPS-Stipendiaten, darunter ich selbst, im Japanischen Kulturinstitut zu Köln Gelegenheit, eine seltene Aufführung von Puppenspielen von der Insel Awaji in der japanischen Inlandsee zu genießen: „Awaji Ningyō Jōruri“. Die ursprünglich rituelle Bindung war in einem der drei Programmstücke, dem Tanz der Glücksgottheit Ebisu, zu erkennen; die beiden andern waren historischen Dramen (jidaimono) entnommen. Zwischendurch gab es Erklärungen zur Mechanik der Puppen und ihrer Handhabung. Das Publikum spendete reichlich Beifall.
Am folgenden Nachmittag (8.10.04) wurde das eigentliche Club-Treffen im Ostasiatischen Seminar - Japanologie von dessen Leiterin, Frau Prof. Ehmcke, eröffnet. Sie hielt auch den ersten Vortrag „Die Farbholzschnitte als Spiegel der bürgerlichen Kultur in Japans Vormoderne“. Die meisten von uns werden Reproduktionen aus einer der vielen Farbholzschnitt-Serien besitzen, die die Tokaido-Straße bzw. ihre verschiedenen Stationen zum Inhalt haben. So gesehen stellen sie reale Gegebenheiten des Reisens in der späten Edo- bzw. frühen Meiji-Zeit dar und geben auch Aufschluß über die Reisenden (Händler, Pilger, Lehnsherren) und ihr Verhalten. Ursprünglich als Schwarz-Weiß-Holzschnitte zu religiösen (buddhistischen) Themen entstanden, wurden sie später zu Zwei- und Mehrfarbendrucken entwickelt, wobei sich über den künstlerischen Anspruch streiten läßt. Dennoch zeigen sie als ukiyo-e (Bilder der vergänglichen Welt), insbesondere in Kabukidarstellungen und Frauenbildnissen, einen städtisch-bürgerlichen freiheitlichen Lebensstil. So sind sie auch, vor allem gegen Ende der Tokugawa-Regierung, ein Ausdruck des Protestes und des steigenden Selbstbewußtseins eines Bürgertums im Sinne einer Schicht von politisch zwar machtlosen, aber reich gewordenen Handwerkern und Händlern als Gegenspieler des Schwertadels (Samurai) und des Shogunats.
Im zweiten Vortrag „Imaginationen japanischer Weiblichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mme. Sadayakko und Mme. Butterfly“ ging Frau Prof. Fritsch auf die unterschiedlichen Vorstellungen japanischer Weiblichkeit in Europa und Japan um 1900 ein und setzte sie mit dem Leben und der Rezeption von Sadayakko in Beziehung. Konfuzianische Ethik (Der Ehemann ist wie der Herr, die Ehefrau ist wie der Untertan..., Isome Tsuna, 1695), und vor allem Buddhismus, aber auch die patriarchalische Familienstruktur hatten die japanische Frau „unterwürfig“ werden lassen. Und von der Viktorianischen Zeit bis heute erlagen westliche Männer dem exotischen Reiz einer schönen Japanerin, die – so die Vorstellung – aus Liebe ihre Familie, Religion und ihren Kulturkreis verläßt, in Treue auf den Geliebten wartet und sich schließlich selbst opfert, wie eben jene Geisha Cho-Cho in Puccinis Oper Madame Butterfly (1904). Ganz anders die reale Geisha Sadayakko, die um 1900 mit ihrem Mann Kawakami Otojirō und einem Ensemble die USA und Europa bereiste und in extravaganten kabuki-ähnlichen Stücken als enthusiastisch gefeierte Schauspielerin auftrat. In ihrem Tanz und Gesang schien sie die japanische Weiblichkeit zu manifestieren. Sie war sich trotz ihrer Herkunft als Geisha offenbar auch dieser Weiblichkeit [??] wie auch ihrer Freiheit bewußt und hat nach ihrer Rückkehr nach Japan durchaus, wenn auch in sanfter Weise, zu sozialen Reformen beigetragen. Im Gegensatz zu Mme. Butterfly hat sie sozusagen ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, wobei sie ihre eigene Welt auf den Kopf stellen mußte. Insoweit kann sie auch heute noch japanischen Frauen als Vorbild dienen.
An die Vorträge schloß sich eine Besichtigung des Japanischen Kulturinstituts mit seiner Bibliothek an. Die Aufgaben und Veranstaltungen (Filme, Ausstellungen, Konzerte, Theater, Vorträge, Sprachkurse) wurden uns ausführlich erläutert; das Awaji-Puppenspiel als Kostprobe wurde oben schon erwähnt.
Anschließend ging es in die Mensa, wo wir nach einer kurzen Ansprache unseres Vorsitzenden Prof. Menkhaus und dem obligaten Kampai ein leckeres Buffet vorfanden und bei Wein und interessanten Gesprächen einige Kollegen näher kennenlernen konnten. So manche Geschichte über ein in Japan erlebtes Abenteuer machte da die Runde. Aber auch Wissenschaftliches kam nicht zu kurz.
Der dritte Vortrag „Eau de Cologne, Champagner, Schwerter und Kimonos – 1862 die ersten Japaner in Köln“ wurde am Vormittag des 9.10. von Herrn K.-H. Meid von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Köln gehalten.
In humorvoller, echt kölscher Art schilderte er, mit vielen Originalbildern und belegt durch damalige Zeitungsartikel, so realistisch, als ob es gerade letzte Woche gewesen wäre, wie die Kölner Bevölkerung 1862 mit Begeisterung japanische Gäste empfing und bestaunte. Dabei handelte es sich um eine 36-köpfige Delegation des Shogunats auf dem Weg von Amsterdam nach Berlin. Diese suchte, allerdings vergebens, die mit den westlichen Mächten abgeschlossenen Verträge aus innenpolitischen Gründen neu zu verhandeln. Im übrigen hatte Franz v. Siebold schon 1823 anläßlich seiner fünfmonatigen Reise mit einer holländischen Delegation von Nagasaki nach Edo und zurück von ähnlichen Massenaufläufen der Bevölkerung in den durchreisten Städten berichtet, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen. Meids Vortrag gab zudem interessante Einblicke in das Leben der Bürger Kölns um die Mitte des 19. Jahrhunderts und in seine Geschichte.
Danach stand ein Besuch im Museum für Ostasiatische Kunst mit reichhaltigen chinesischen, koreanischen und japanischen Exponaten auf dem Programm. Schon das klassisch moderne Gebäude am See mit seinem Landschaftsgarten entfaltet seine eigenen Reize. Ein Highlight ist sicher die Statue des Priesters Eizon (Kōshō-bosatsu, 1201–1290), dem Erneuerer der buddhistischen Ritsu-Schule. Die Statue ist eine Kopie aus dem angehenden 16. Jahrhundert einer um 1280 angefertigten Porträtstudie. Bemerkenswert sind weiterhin große Rollbilder mit chinesischen Landschaftsmalereien oder der Darstellung des Todes von Buddha, seines Eingangs ins vollkommene Nirvana. Von Frau Altmann erfuhren wir auch interessante Details zur Herstellung solcher Statuen aus kleineren Holzblöcken und dem Einsetzen der Augen, oder zur Erzeugung von Lackwaren bzw. zur Vergoldung mit Blattgold.
Abschließend „marschierten“ wir dann zum Essen ins Brauhaus Päffgen, wo wir uns Kölsch und Kölner Spezialitäten munden ließen; allseitige Bewunderung rief dabei die unserem Vorsitzenden zugedachte riesige „Haxen“ hervor. Nach letzten Gesprächen und Kontaktaufnahmen endete die Veranstaltung dann gegen 15 Uhr.
Fazit? Wenn es der Sinn von „Mitglieder laden Mitglieder ein“ sein soll, die Arbeitsstätten und Forschungstätigkeiten von Mitgliedern kennen zu lernen, untereinander Verbindungen zu vertiefen, Japanerfahrungen auszutauschen und interessante Aspekte japanischer Kultur und ihrer Präsentation in Deutschland zu erfahren, und das alles ohne Hektik in einer gewissen Muße für Leib und Seele, so war die Veranstaltung in Köln optimal. Natürlich trug das äußere Ambiente mit dazu bei: Institute und Museum, Hotel und die Orte der Verköstigung waren alle zu Fuß bequem zu erreichen und selbst Petrus war günstig gestimmt. Aber, so denke ich, entscheidend war doch die Organisation, diesmal eine weibliche. Dafür danken wir den Veranstalterinnen sehr herzlich. Dank sei auch dem JSPS-Club und Herrn Menkhaus, die so hervorragend für unser leibliches Wohl sorgten.
Anton Rieker