Dr. Heinz Riesenhuber

Bundesminister für Forschung und Technologie (1982–1993)


Beziehungen zwischen Deutschland und Japan

Prof. Riesenhuber begrüßt zunächst alle Anwesenden herzlichst und bedankt sich für die Einladung zu diesem Treffen. Es freue ihn sehr, daß es JSPS gelungen sei, ein solches Treffen der ehemaligen Stipendiaten zu organisieren und wünscht JSPS und der "Deutschen Gesellschaft der JSPS-Stipendiaten e.V." weiterhin ein gutes Gelingen. An der Zusammenarbeit mit Japan seien zahlreiche Institutionen in Deutschland beteiligt. JSPS bilde eine Säule, die zu den guten Beziehungen mit Japan beitragen könne.

Generell könne man die deutsch-japanischen Beziehungen als gut bezeichnen, allerdings gebe es auch noch erhebliche Entwicklungspotentiale, insbesondere auf deutscher Seite. Es ließe sich z.B. ein Mißverhältnis darin erkennen, daß jährlich etwa 1300 japanische Studenten in Deutschland studierten, umgekehrt jedoch nur ca. 230 deutsche Studenten in Japan. Dies zeige immer noch ein erhebliches Ungleichgewicht. Die Kenntnisse beider Nationen voneinander seien stereotypisiert und die dadurch entstandenen Bilder spiegelten eine andere Wahrnehmung des Landes wider, als die, der jeweils eigenen Kulturperzeption. Hier stelle sich die Frage, inwieweit die Möglichkeit eines vertieften Austausches als relevant angesehen werden könne. Um hier Entwicklungspotentiale zu schaffen, müsse als Voraussetzung dafür die gemeinsame Interessenlage erforscht und Kontaktmöglichkeiten in den verschiedenen Bereichen von Wirtschaft, Politik und Sozialem geschaffen werden.

Prof. Riesenhuber betont, er möchte nicht näher auf die Geschichte der Beziehungen zwischen Japan und Deutschland eingehen, er wolle aber Parallelen in den Entwicklungen beider Länder nach dem zweiten Weltkrieg in Politik und Wirtschaft anführen. So seien in beiden Ländern Erinnerungen an die Zeit bis 1945 präsent, die das Bewußtsein der Nationen weiterhin prägten; als ein Beispiel sei die Zurückhaltung bei militärischen Kampfeinsätzen genannt.

Nach dem Krieg hätten beide Nationen wieder vom Nullpunkt angefangen, ihre Wirtschaften zu aktivieren. Trotz des Nichtvorhandenseins von natürlichen Ressourcen prägten Deutschland und Japan ihre Länder mit Wirtschaftskraft und erschienen als Industrienationen mit bedeutendem Gewicht. Der große Wirtschaftserfolg beider Länder, anfangs durch die Unterstützung der USA, sei aber auch zum Problem beider Industriestaaten geworden. Inzwischen gäbe es eine neue Konkurrenzsituation in der Welt. Heute seien neue "High-Tech-Länder" noch nicht gleichzeitig Hochlohnländer. Dadurch wandere die Industrie leicht ab und verlagere industrielle Arbeitsplätze in Niedriglohnländer.

Für Deutschland und Japan stelle sich die Frage nach der Neudefinierung ihrer Positionen in den eigenen Regionen. Dem Verhalten deutscher Geschäftsmänner und deren Neigung sich unter Umgehung Japans mit China zu arrangieren, stünde er kritisch gegenüber. Japan sei immer noch der wichtigste Markt in der Region, daher müsse es mehr deutsches Engagement in Japan geben. Japan habe seine Investitionen vor allem in Großbritannien so angelegt, daß es sich den Zugang zur EU sichert. Die deutschen Firmen hätten dies umgekehrt in Japan nur begrenzt geschafft. Hier gäbe es Handlungsbedarf. Die Probleme in den deutsch-japanischen Beziehungen lägen im gegenseitigen Verständnis füreinander, im Finden gemeinsamer Vorgehensstrategien und in einer entsprechenden Vernetzung der Zusammenarbeit.

Was die Zusammenarbeit in interantionalen Gremien anginge, so hätten Japan und Deutschland ein gemeinsames Interesse an der Öffnung der Märkte gezeigt und dies auch in ihren Bemühungen deutlich geworden, das GATT voranzutreiben und weiterzuentwickeln. Beide Länder hätten neue Technologiefelder wie Multimedia und Telekommunikation als Zukunftsträger der modernen Gesellschaft entdeckt. Parallelen seien auch in bezug auf die UNO festzustellen. Dafür sei der Wille bezeichnend, sich aus den weltpolitischen Situationen, in denen militärischer Einsatz notwendig sei, herauszuhalten. Aber auch in diesem Bereich sei Kooperation gefordert. Deutschland und Japan gingen bei Friedensmissionen zunehmend abgestimmt vor. Beide Länder seien auf verschiedenen Ebenen gesehen zwar unterschiedlich, hätten aber vergleichbare Interessen, die eine engere Zusammenarbeit unbedingt nötig machten.

Prof. Riesenhuber betont, in Deutschland gäbe es viele Möglichkeiten, sich über verschiedene japanbezogene Themen durch unterschiedlichste Institutionen zu informieren. Allerdings bedürfte die Etablierung der Institutionen längerer Entwicklungsprozesse. Die Bereitschaft, einen Vorschuß an persönlichem Vertrauen zu bringen, müßte dafür gegeben sein. Die große Zahl von unterschiedlichen Organisationen allein könne noch keine Entwicklung in den Beziehungen darstellen. Allerdings sei es schwierig, Vorschläge zu bekommen, die weiterführender Art seien. Fest stehe, daß zehnmal soviele Japaner Deutsch lernen, als umgekehrt Deutsche Japanisch. Japan und die japanische Sprache müßten daher zugänglicher gemacht werden. Dabei müsse das Neujapanisch und die moderne Gesellschaft Japans auch bei einem Japanologiestudium gebührend berücksichtigt werden, mehr als etwa die japanische Haiku-Dichtung des 18. Jahrhunderts. Veraltete Lehrmethoden sollten hinterfragt werden.

In der Wirtschaft könne man die deutsch-japanischen Beziehungen als entspannt bezeichnen, aber nicht als sonderlich eng. Die Beziehungen in den Naturwissenschaften seien nicht sehr dicht, erst in jüngster Zeit seien diese von zunehmendem Gewicht. Was die Grundlagenforschung anbelange, so finde diese in Japan vermehrt in Unternehmen, zugunsten der Industrie, statt. Dagegen liege Grundlagenforschung in Deutschland im Bereich der Hochschulen und der Max-Planck-Gesellschaft. Japan habe in der Vergangenheit durch die Nutzung von Grundlagenforschung große Erfolge verzeichnen können. Es bewies große Kompetenz in bereits erschlossenen Märkten. Jetzt habe Japan neue Märkte entdeckt und müsse die Grundlagenforschung im eigenen Land betreiben. Diese Tendenz schlage sich in den verschiedenen relevanten Budgets nieder. Japan zeige den Willen, die Grundlagenforschung auch zur Grundlage des Landes zu machen und diese in die Weltwirtschaft miteinzubringen. Diese Haltung vermisse er in Deutschland.

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Japan entwickelten sich schrittweise weiter. Bisher seien viele Einzelprojekte durch persönliche Bekanntschaften entstanden, die aber noch ausgeweitet werden könnten. Gemeinschaftsprojekte würden unterschiedliche Erfolge aufweisen. Relevante Bereiche von globalem Ausmaß seien angegangen worden. Die Strategie der Verfolgung gemeinsamen Techniken sei sehr klug und könne nur hilfreich sein in einer Welt der zunehmenden internationalen Zusammenarbeit. Aber jetzt fehle es noch an Übereinstimmung in den Vorgehensweisen, z.B. auch beim Thema Multimedia. Die Zusammenarbeit im Weltraum mit Japan sei nicht sehr eng. Japan habe hohe Kompetenzen. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts gäbe es nun keine begründete Konkurrenz mehr. Hier sei komplementäre Zusammenarbeit nötig. Zwar seien in der Vergangenheit Projekte in diesem Bereich gescheitert, aber künftige Projekte seien weiter gemeinsam anzugehen. Bei den Projekten in der Wissenschaft handele es sich um interessante Projekte, das Potential sei aber noch lange nicht ausgeschöpft. Hierfür sei es nötig, von beiden Seiten aufeinander zuzugehen und bewußte Abstimmungen zu treffen. Denn Änderungen würden die Chancen bergen, neue Elemente einbringen zu können.

Die Japaner bewegen sich in der deutschen Wirtschaft mit Unbefangenheit und mit Erfolg. Japaner seien bei uns zu Hause. In Sankt Augustin und Berlin sei von NEC eine japanische Forschungseinrichtung auf deutschem Boden geschaffen worden. Die Präsenz der deutschen Forschungin Japan sei jedoch viel rudimentärer. Nur die Chemie könne von einem erfolgreichen Auftreten in Japan sprechen. Diese Branche habe sich gut etabliert. In der Chemie würde produziert, verkauft, geforscht und man könne eine gutes und erfolgreiches partnerschaftliches Wachstum beobachten.

Obwohl sie willkommen seien, wären aber die großen anderen Industriezweige Deutschlands in Japan nicht zu Hause. Dies müßte geändert werden, da in Japan ein großer Markt existiere. Deutsche und amerikanische Firmen müßten nach Japan. Dabei müßten sie sich mit der gleichen Strategie bemühen, in den japanischen Markt einzudringen, wie das die Japaner auf unseren Märkten täten. Die Abgeschlossenheit des japanischen Marktes für ausländische Produzenten werde häufig als Begründung dafür aufgeführt, weshalb diese bisher nicht so präsent gewesen seien. Allerdings sei seitens der japanischen Regierung eine positive Entwicklung in diesem Bereich zu sehen, nicht zuletzt wegen des Versuchs der Reduzierung der bürokratischen Hemmnisse in Japan. Aufgabe wäre es hier, herauszufinden, was an dem bekannten Vorurteil noch wahr sei, und wo es noch relevante Hemmnisse gäbe. Schließlich würden sich internationale Normen immer schneller durchsetzen. Die Beschleunigung der Umsetzungsgeschwindigkeit sei enorm. So sei der faktische Vollzug in der japanischen Verwaltung besser geworden. Es könne mit mehr Offenheit und Kooperation gerechnet werden. Die deutsche Wirtschaft müsse lernen, in Japan aktiv zu werden. Hierfür seien Siemens, Toshiba und IBM gute Beispiele.

Prof. Riesenhuber hebt am Ende seines Vortrages nochmals die Bedeutung hervor, gemeinsame Strategien zur Zusammenarbeit in den zukunftsrelevanten Bereichen zu finden und anzuwenden, so daß gemeinsame Arbeit ausgetauscht und komplementäre Kompetenzen miteingebracht werden können. In einer Zeit der zunehmenden Globalisierung, seien gemeinsame Aufgaben unerläßlich. Dazu zählten Strategien für eine nachhaltig zu erhaltende Umwelt. Dies sei eine große Aufgabe, die jedoch jenseits der Reichweite einer einzelnen Nation stehe. Deshalb müßten alle Länder an einem Strang ziehen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Für Spitzentechnologien entstünden neue gewaltige Märkte. Dies seien Aufgaben von außerordentlicher Komplexität. Da das persönliche Verhältnis zwischen Japanern und Deutschen sehr wichtig sei, müsse auf dessen kontinuierliche Weiterentwicklung ein Schwerpunkt gelegt werden.

Auf höchster politischer Ebene sei man sich einig, daß Deutschland und Japan zusammenarbeiten müßten. Jedoch bestünden Schwierigkeiten beiderseits bei der Umsetzung im Einzelfall und z. B. auch darin, daß politische Ämter in Japan schneller umbesetzt würden. Insgesamt gäbe es genügend Probleme, die die Beziehungen belasteten, aber wenn Netzwerke und Querverbindungen hergestellt würden, so daß mehrdimensionale Netze entstünden, dann käme es zu einer selbstverständlichen Weiterentwicklung der Beziehungen. Eine solche selbstverständliche Entwicklung wünsche Prof. Riesenhuber der JSPS.

Im Anschluß an die Rede von Prof. Riesenhuber fand eine Diskussion statt.

Was die Japanologie betreffe, so sei ein Mangel an moderner Sprachvermittlung zu verzeichnen. Auch in den Übersetzungswissenschaften sei es schwierig wirklich gute Übersetzungen ins Deutsche, z.B. über japanische Philosophie zu finden. Es wurde der Vorschlag gemacht, Zentren für Japanstudien einzurichten, wie es sie bereits seit 30 Jahren in Großbritannien gäbe, in denen der Student wirtschaftliche, wissenschaftliche und sprachwissenschaftliche Bereiche gemeinsam vermittelt bekäme. Deutschland sei momentan von solch einem Vorhaben weit entfernt. Hier bestehe Handlungsbedarf. Prof. Riesenhuber begrüßt diesen Vorschlag und sagt seine Unterstützung bei konkreteren Vorschlägen in diese Richtung zu.

Aus den Reihen der Universitätsprofessoren wird Prof. Riesenhuber darauf hingewiesen, daß die Studenten und Universitäten die Unterstützung der Politiker bei der nötigen Kürzung der Studienzeiten bräuchten. Deutsche Studenten hätten das gleiche Interesse wie ihre Nachbarn, ein Jahr im Ausland zu verbringen, allerdings sei dies oft mit den all zu langen Studienzeiten nicht in Einklang zu bringen. Heute würde nur noch das Alter des Absolventen zählen und nicht seine Auslandserfahrung.

Prof. Riesenhuber gibt auf diese Frage hin zu bedenken, daß es durchaus auf die einzelnen Hochschulen ankäme. Die Ausbildungsdauer sei bei verschiedenen Hochschulen sehr unterschiedlich. Er sei der Meinung, die deutschen Studenten hätten nicht so viel Interesse für das Ausland. Dies zeigten auch die Zahlen der EU-Programme Erasmus und Comett. Im letzten Jahr hätten nur 15% aller Studenten einen Erasmus-Aufenthalt durchgeführt und nur 12% am Comett-Programm teilgenommen. Hier bestehe ein Ungleichgewicht im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.

Ein Ingenieurwissenschaftler sorgt sich um die Entwicklung in deutschen Firmen und die besseren Kooperationsmöglichkeiten. Er fragt, welche Voraussetzungen für eine bessere Kooperation nötig wären.

Hierauf antwortet Prof. Riesenhuber, müßte es eine ganze Vielfalt von Branchen geben müsse, die risikobereit wären. Da die Forschungsausgaben stetig zurückgingen, berge dies ein gefährliches strukturelles Risiko für Deutschland. Es müßten mehr ehrgeizige Projekte angegangen werden. Hierbei gäbe es große Unterschiede zwischen Japan und Deutschland. Japanische Projekte seien immer langfristig geplant, während deutsche Projekte mittelfristig angelegt seien. Auf jeden Fall müsse die Forschung in Deutschland weiter dezentralisiert werden. Hier vergleicht Prof. Riesenhuber die Profile der Forschung in Deutschland und in Japan. Japan habe auf Spitzentechnologien gesetzt. Es habe Projekte in Kooperation mit der Wirtschaft eingeführt. Beides sei für die Weiterentwicklung in Deutschland wichtig. Die Vernetzung zwischen Industrie und Hochschule sei noch zu gering. Die gute Qualität der Wissenschaft nütze nichts, wenn sie nicht anwendungsorientiert sei. Von den Materialwissenschaften bis zur Gentechnik müßten die Themen für die Praxis relevant gestaltet werden. Das Problem bestünde aber darin, daß es eine funktionierende Kooperation zwischen dem Professor und dem Manager in Deutschland nicht gäbe. Deshalb sei es für die Zukunft Deutschlands essentiell, daß Wissenschaftler und Manager öfter "ein Bier zusammen trinken würden". Es mangele noch an der Bereitschaft zum Gespräch über praxisrelevante Fragen. Aber er blicke optimistisch in die Zukunft.

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